Material finden Sie auch bei Downloads
Thesen zu LRS von Ulla Kloß
„Ein großer fundamentaler Fehler – mit vielen unseligen Folgen für Kinder, Lehrer und Eltern auf der ganzen Welt – ist die irrige Annahme, dass Lesen dem Menschen von Natur aus in die Wiege gelegt ist und sich genau wie Sprache einfach „aus dem Nichts ergeben wird, wenn das Kind dafür bereit ist. Dem ist nicht so: Den meisten von uns müssen die Grundprinzipien dieser nicht naturgegebenen kulturellen Erfindung mühsam beigebracht werden.“ Maryanne Wolf, Das lesende Gehirn, Spektrum 2009
Genau das gleiche, was Maryanne Wolf zum Lesenlernen sagt, gilt auch für das Erlernen der Rechtschreibung. Rechtschreibung ist eine Kulturtechnik, zu der wir dafür ursprünglich nicht eingerichtete Gehirnregionen zweckentfremden oder anders ausgedrückt überformen müssen. Das menschliche Gehirn ist dazu in der Lage, jedoch ergibt sich nichts von selbst. Es kann dabei zu ungünstigen Grundeinstellungen kommen.
- Eine Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) besteht im Kern aus einem oder mehreren ungünstigen Abläufen des initiierten Lese- oder Schreibprozesses (unbewussten Automatisierungen), die sich – je früher man sie bemerkt, desto leichter – korrigieren lassen.
- Die Gründe, warum sich im Lese- und Schreibablauf ungünstige dynamische Stereotype (Ablaufwege) herausgebildet haben, sind vielfältig: Seh-Schwäche, Lerntyppräferenz, ungünstige Anleitung, Unaufmerksamkeit des Kindes zum ungünstigen Zeitpunkt …
- Ist ein ungünstiger Ablauf erst einmal im Gehirn automatisiert und gespeichert, so sind die Steuerungsmöglichkeiten des betroffenen Kindes stark eingeschränkt. Es kann sich nicht mehr selbst aus diesem Ablauf befreien und braucht Hilfe von außen.
- Obwohl die deutsche Schriftsprache auf einer Laut-Graphem-Zuordnung beruht und als Lautsprache bezeichnet wird, schreiben wir nur ungefähr so, wie wir sprechen.
- Schriftsprache (wie wir sie heute gebrauchen) wird nicht von der Sprechsprache abgehört, sondern (nach grammatischen Überlegungen) gebaut.
- Für eine sichere Rechtschreibung muss die visuelle Speicherung im Vordergrund der Wahrnehmung sein, da man nur über visuelle Speicher aufgenommene Wörter sicher abrufen kann. Akustische Speicher und Speicher für Bewegung und Gefühl können wertvolle Stützen sein.
- Die Lehrkräfte sollten in der Lage sein, die Kinder so anzuleiten, dass sie die visuelle Speicherung sowohl unbewusst als auch bewusst benutzen lernen (visuelle Bewusstheit/ViBe).
- Neben der phonologischen Bewusstheit, die in früheren Lernstadien wichtig ist, ist die visuelle Bewusstheit ein wesentlicher Baustein auf dem Weg zu einer sicheren Rechtschreibung.
- Ein wesentlicher Faktor für sichere Rechtschreibung ist die Synchronisation der fünf Spuren, die für den Schreibablauf wesentlich sind.
- Film (Sehen)
- Lautklang (Hören)
- Schriftbild (Sehen)
- Handbewegung (Bewegung)Gefühl (innere Bewegung)inneres Sehen (Film)à inneres Hören (Klang) à inneres Sehen (Wortbild) à äußere Bewegung (Schrift) à innere Bewegung (Sicherheitsgefühl) und äußeres Sehen (Kontrolle)
Dieser Ablauf vollzieht sich während des Schreibvorgangs kontinuierlich überlappend. Je sicherer und synchroner er abläuft, desto sicherer ist die Rechtschreibung und desto schöner ist die Handschrift.
- Drei wichtige Schritte für eine sichere Rechtschreibung:
- Räumlich flächiger Überblick / Komplexität reduzieren
- gehirnphysiologisch günstige Reihenfolge im Lernaufbau
- Verzicht auf (verwirrende) vielfältige Materialien, dafür aufmerksame Wahrnehmungsdifferenzierung
- Schriftsprache entwickelt sich nicht wie die Sprechsprache; Schriftsprache ist eher mit einem Handwerk zu vergleichen. Schreiben ist eine Kulturtechnik, um es in der kulturellen Hochform, der Rechtschreibung zu beherrschen, muss einem gezeigt werden, wie es geht. (Führung durch den Meister)
- Man sollte Rechtschreibung nicht durch Versuch und Irrtum lernen, sondern durch Vorbild und Nachahmung. Es ist außerdem wichtig, zu üben und zu automatisieren.